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Interview mit Prof. Dr. Jeremy Waddington, britischer EBR-Forscher

FotoFotoFrage: Jeremy, Sie haben kürzlich die bisher breiteste Befragung von Mitgliedern Europäischer Betriebsräte durchgeführt, was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie?

Waddington: Die Schlüsselergebnisse der Studie belegen, daß die Mindestvorschriften zur Unterrichtung und Anhörung, wie sie die Richtlinie festlegt, nicht erfüllt werden. Die Ziele der Kommission und des Ministerrates bezüglich Information und Konsultation in multinationalen Unternehmen sind in der Praxis nicht umgesetzt. Dieser Befund gilt sowohl für den Katalog an Themen, mit dem sich Europäische Betriebsräte befassen, als auch hinsichtlich der Qualität der durchgeführten Unterrichtung und Anhörung. In der Praxis legt das Management nicht die erforderlichen Informationen offen und zu oft ist es auf eine Anhörung entweder nicht vorbereitet oder die Konsultation findet statt, nachdem eine Entscheidung getroffen ist.

Ich sollte jedoch auch hervorheben, daß es Belege für eine gewisse Verbesserung im Laufe der Zeit gibt. Insbesondere für die letzten fünf Jahre zeigen die Befunde, daß sich der Umfang der Tagesordnung von Europäischen Betriebsräten erweitert hat. Mit anderen Worten, die Situation verbessert sich, aber die in der Richtlinie benannten Mindestvorschriften sind bei vielen Europäischen Betriebsräten noch nicht erfüllt. Die beiden Kernaussagen widersprechen sich daher nicht.

Es sollte ebenfalls angemerkt werden, daß die Ansichten von EBR-Mitgliedern variieren. EBR-Mitglieder, die aus dem gleichen Land wie das Unternehmen kommen, und Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses sind gewöhnlich weniger kritisch hinsichtlich der Praxis Europäischer Betriebsräte als Delegierte, die aus einem anderen Land als der Unternehmenssitz kommen und die nur einfache Mitglieder des EBR sind. Darüber hinaus neigen EBR-Mitglieder aus den skandinavischen Ländern dazu, am kritischsten bei der Beurteilung der EBR-Praxis zu sein.

Frage: Wie stark ist Restrukturierung ein Thema für den EBR?

Waddington: Es ist eines der wichtigsten transnationalen Themen für Arbeitnehmervertreter überhaupt. Rund 80% der von mir befragten EBR-Mitglieder berichten von Restrukturierungen innerhalb der letzten drei Jahre. Allerdings wurde nur jeder vierte EBR von der Europaleitung in angemessener Form informiert und rechtzeitig konsultiert. Nochmals: dieser Befund zeigt, daß die Intentionen des Gesetzgebers in der Praxis nicht erfüllt werden.

Frage: Die Europäische Kommission möchte die Revision der EBR-Richtlinie und das Thema Restrukturierung in einem einzigen Gesetzgebungsverfahren abhandeln, macht das Sinn?

Waddington: Ich betrachte diese Verzahnung langfristig als problematisch. Ein Europäischer Betriebsrat ist mehr als ein Gremium, das bei Restrukturierungen behilflich ist. Die Aufgaben von Europäischen Betriebsräten sind viel umfassender. Um die beiden Themen zu verbinden, müßte man die Tagesordnung von Europäischen Betriebsräten beschränken.

Frage: Haben Unternehmensfusionen und -übernahmen Einfluß auf EBR-Gremien gehabt?

Waddington: In den letzten Jahren haben wir eine beachtliche Welle von Fusionen in Europa gesehen, da Unternehmen auf die Globalisierung und die Initiativen rund um den Europäischen Binnenmarkt geantwortet haben. Das Ausmaß dieser Fusionswelle hat eine Reihe von Fragen zur Kontinuität der Arbeit von Europäischen Betriebsräten aufgeworfen. Immer wieder berichten EBR-Mitglieder, daß die Richtlinie ihnen ungenügende Hilfe bei Fusionen und Übernahmen bietet. Auch ist die Fluktuation der EBR-Mitglieder hoch, was einen nachteiligen Einfluß auf die Kontinuität hat.

Frage: Was benötigen EBR-Mitglieder vom Gesetzgeber und von den Gewerkschaften am dringendsten?

Waddington: Mehr als alles andere brauchen EBR-Mitglieder ein funktionierendes Gremium. Um dieses Ziel zu erreichen, fordern sie eine exaktere Definition von angemessener Information und Konsultation in der Richtlinie, was sowohl die Art und Weise, in der Informationen zugänglich gemacht werden, als auch den Zeitpunkt der Offenlegung von Informationen und den Zeitpunkt der Anhörung beinhalten würde. Die EBR-Mitglieder würden auch klar definierte Rechte in Fällen von Unternehmensrestrukturierungen begrüßen. Es ist auch offensichtlich, daß viele Manager Restrukturierungen in einem multinationalen Unternehmen, sofern dies nur innerhalb eines einzelnen Landes stattfindet, nicht als Tatbestand der Richtlinie betrachten. Nach dem Geist der Richtlinie ist dies nicht konsequent: wenn ein multinationales Unternehmen umstrukturiert, wollen EBR-Mitglieder solche Restrukturierungen per Definition unter den Geltungsbereich der Richtlinie verstanden wissen.

Gleichfalls fordern EBR-Mitglieder mehr Unterstützung von den Gewerkschaften in Form von Seminaren, Beratung und Anleitung, zusammen mit der Entwicklung von klar definierten Rollen sowohl für Europäsiche Betriebsräte als auch für Gewerkschaften. Es gibt noch zu viele EBRs, die von Gewerkschaften mangelhaft unterstützt werden.

Frage: Was unterscheidet Europäische Betriebsräte in angelsächsischen Unternehmen von Europäischen Betriebsräten, die in kontinentaleuropäischen Unternehmen tätig sind?

Waddington: In britischen und amerikanischen Unternehmen hat der EBR eine schmalere Tagesordnung, und die Qualität der Information und Konsultation ist geringer. EBR-Mitglieder in angelsächsischen Unternehmen müssen mehr Initiative zeigen, falls sie eine Tagesordnung von der gleichen Qualität wie in kontinentaleuropäischen Unternehmen sicherstellen wollen. Manager in angelsächsischen Unternehmen sind zögerlicher, wenn es darum geht, Informationen preiszugeben und sich zu Konsultationen zu verpflichten. Mittelfristig könnte sich diese Situation jedoch durch die neue Gesetzgebung im Vereinigten Königreich verändern, die Informationsaustausch und Konsultation am Arbeitsplatz fordert, aber es bleibt der Punkt, daß Manager im Vereinigten Königreich bislang wenig Erfahrung mit solchen Praktiken haben und einige sich dem auch widersetzen.

Jeremy Waddington ist seit 2000 Professor für Industrielle Beziehungen an der Universität von Manchester, nachdem er zuvor elf Jahre lang als Forscher an der Universität von Warwick tätig war. Zusätzlich ist er seit 1998 Projektkoordinator des Europäischen Gewerkschaftsinstituts in Brüssel. → Weitere Informationen zur Person

Das Interview führte Werner Altmeyer am 4. November 2005 in Brüssel.


Weitere Informationen zur Studie:

Konferenzbericht über die Präsentation der Forschungsergebnisse
Bewertung der Forschungsergebnisse durch Prof. Waddington
Statistische Daten der Studie
(21 Seiten)



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