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Interview mit Eduardo Chagas, Generalsekretär der ETF seit Mai 2005
ETF = Europäische Transportarbeiter-Föderation mit Sitz in Brüssel

FotoFotoFrage: Wird die ETF eine neue strategische Ausrichtung bekommen?

Eduardo Chagas: Nein. Im Großen und Ganzen werden wir unsere Außenstrategie nicht verändern.

Frage: Die Transportbranche ist der am meisten internationalisierte Sektor der Wirtschaft. Welche Rolle spielen hier die Europäischen Betriebsräte?

Eduardo Chagas: Die Arbeitgeber versuchen oft, Beschäftigte gegeneinander auszuspielen: die am schlechtesten Qualifizierten gegen die besser Qualifizierten oder diejenigen in den Entwicklungsländern gegen jene in den Industrieländern. Die Schaffung von Europäischen Betriebsräten hat den Vorteil, daß Arbeitnehmervertreter in einem Betrieb alle Informationen teilen und versuchen können, gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Deshalb sind sie so wichtig, um Solidarität zu entwickeln und Brücken zu bauen. Die internationale Solidarität haben wir in unserer Branche schon mehrfach unter Beweis gestellt. Die Europäischen Betriebsräte sollten genauso arbeiten. Und Solidarität kann über die europäischen Grenzen getragen werden wie im Falle von Volkswagen, wo der EBR den Erhalt eines Standortes in Südafrika durchgesetzt hat.

Frage: Wie viele Europäische Betriebsräte betreut die ETF momentan?

Eduardo Chagas: Im Bereich der ETF gibt es 35 Europäische Betriebsräte. Die meisten Abkommen sind bereits vor dem Jahr 2000 geschlossen worden. Es gibt aber noch Entwicklungspotenzial, beim Aufbau als auch bei der Entwicklung der EBR-Arbeit. Hierzu muß die Koordination verbessert werden. Die ETF hat aus diesem Grund Richtlinien aufgestellt, die auf Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten abzielen. Dabei sind wir auf Hilfe der ETF-Mitgliedsorganisationen angewiesen und müssen intern die Teamarbeit intensivieren.

Frage: Wie funktioniert die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Europäischen Betriebsräten?

Eduardo Chagas: Es gibt kulturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und diese begründen unterschiedliche Bereitschaft zur Kooperation. In einigen neuen Mitgliedsländern sind Gewerkschaften sehr skeptisch, was die Rolle der Europäischen Betriebsräte angeht. Generell kann man aber sagen, daß die Kooperation ganz gut funktioniert, trotz der Probleme, die manche Arbeitgeber mit der Gewerkschaftsbeteiligung haben.

Frage: Wie involviert ist die ETF in der EBR-Arbeit?

Eduardo Chagas: Die Arbeitgeberseite hat ein großes Interesse am EBR als "politischem Apparat". Oft versucht das Management, den EBR zu führen. Gewerkschaften werden allerdings häufig außen vor gelassen. Die Gewerkschaften und Betriebsräte müssen daher ihre Zusammenarbeit verbessern. Die ETF-Politik ist klar: Unsere Rolle besteht in der Koordinierung und Begleitung, also Informationen weiterzuleiten und Weiterbildungsangebote zu machen. Wenn nötig, können wir auch Expertise bieten. Wir wollen die nationalen Gewerkschaften aber nicht ersetzen. Mit den begrenzten Möglichkeiten unserer personellen Ausstattung versuchen wir, unseren Mitgliedsgewerkschaften und den EBR-Gremien jede mögliche Unterstützung zu geben.

Manche Europäische Betriebsräte sind stark unter Druck und werden nicht ausreichend informiert. Andere können ihr Informationsrecht nicht wirkungsvoll verteidigen. Einige Arbeitgeber sehen die EBR-Gremien als eine Last, mit der sie irgendwie leben müssen und glauben, die Arbeitnehmervertreter hielten sich selbst für die glücklichen Kerle, die sich in Luxushotels treffen und das war’s dann. Deshalb sind wir der Meinung, daß die EBR-Richtlinie unbedingt verschärft und die Arbeitnehmerrechte verbessert werden müssen.

Frage: Die ETF hat eher eine globale Sicht auf Europäische Betriebsräte und die eigene Arbeit. Welche Rolle spielen dabei die neuen EU-Mitgliedsstaaten?

Eduardo Chagas: Die Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsstaaten sind ja nicht erst seit dem 1. Mai 2004 bei uns dabei. Seit 1999 sind in der ETF Gewerkschaften aus allen europäischen Ländern vertreten. Das zwingt zu einer Sicht über die Grenzen der EU hinaus - wenn z. B. die russischen oder die norwegischen Kollegen ihre Probleme diskutieren wollen, die auch mit der Außenwirkung der EU zu tun haben. Gewerkschaften aus den neuen EU-Ländern wurden von Anfang an in unsere Arbeit einbezogen. Die Anerkennung ihrer Schwierigkeiten und spezifischen Probleme war immer schon Teil der gemeinsamen Arbeit mit den Gewerkschaften aus den alten Mitgliedsstaaten. Die Unternehmen schauen zuallererst auf die Kosten und wie sie diese vermeiden können. Die goldene Mitte zwischen Solidarität und Wettbewerb zu finden, ist auf europäischer Ebene nicht ganz einfach.

Eine weitere Dimension ist die Weiterbildung. Wir haben schon mehrere Seminare organisiert und damit gute Erfolge gehabt. Diese Anstrengungen werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten fortsetzen. Vor allem für den maritimen Transport und die Zivilluftfahrt werden viele Regelungen auf internationaler Ebene getroffen. Die ETF muß daher ihre Interventionen im Rahmen höherer europäischer Standards bedenken. Das bedeutet für uns immer wieder eine große Herausforderung.

Frage: Und international?

Eduardo Chagas: Die EU-Strategie ist anders als die internationale, denn hier in der EU gibt es gleiche Regeln und hohe Arbeitsstandards. Im breiteren internationalen Kontext ist das jedoch anders. Sinkende Arbeitskosten, fehlender sozialer Schutz, schwächere Gewerkschaften, Verlagerungsdruck - das sind Faktoren, die in unsere Überlegungen einbezogen werden müssen und das tun wir gemeinsam mit der Internationalen Transportarbeiterföderation. Wir unterstützen z. B. eine Kampagne für akzeptable Mindeststandards für die Crews an Bord von "Billigflaggen" (flags of convenience). Durch den Kampf gegen Sozialdumping verteidigen wir die internationale Solidarität.


Eduardo Chagas wurde auf dem Kongreß der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF) am 25./26. Mai 2005 in Mariehamn (Finnland) zum Generalsekretär gewählt. Zuvor war er fünf Jahre lang in der ETF für den Bereich Schiffahrt verantwortlich. Eduardo Chagas ist selbst Seefahrer gewesen und war Vorstandsmitglied der Seefahrergewerkschaft FSM und des Gewerkschaftsdachverbandes CGDP in Portugal.

Das Interview führte Kathleen Kollewe am 7. Juni 2005.



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