Interview mit Peter Scherrer, Generalsekretär des EMB
EMB = Europäischer Metallgewerkschaftsbund
Frage: Haben Sie ein Leitmotiv für den EMB, das Sie als neuer Generalsekretär umsetzen möchten?
Scherrer: Es wird keine komplette Neuausrichtung der Strategie des EMB geben. Unsere Arbeit und unsere Aufmerksamkeit
bewegt sich nah an den betrieblichen Problemen. Die Themen sind außerordentlich komplex. Ich habe mir vorgenommen, erst
einmal klein zu beginnen und dann durch gute Arbeit zu überzeugen. Die Basis ist Vertrauen und die muß solide gelegt
werden. Allerdings bleiben unsere Kapazitäten stark begrenzt, die Ressourcen sind zu knapp zur sofortigen Umsetzung
aller wichtigen Vorhaben.
Frage: Welche Rolle spielen die Europäischen Betriebsräte und die Revision der
EBR-Richtlinie in Ihrer
täglichen Arbeit?
Scherrer: Eine wichtige Rolle. An mehreren Beispielen läßt sich erkennen, daß zwei grundlegende Aktivitäten
dabei bestimmend sein müssen: Die Verbesserung der EBR-Richtlinie und die Verbesserung der bestehenden EBR-Arbeit.
Das, was bereits möglich ist, muß auch umgesetzt werden. Viele Betriebe wären EBR-fähig, haben aber noch
keinen EBR. Und auch bei der Tätigkeit der existierenden Europäischen Betriebsräte muß angesetzt werden.
Frage: Wie kann das geschafft werden?
Scherrer: Manchmal muß man kleine Schritte gehen. Dort, wo z. B. die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im EBR
aufgrund verschiedener Hindernisse nicht möglich ist, gilt es, phantasievolle Wege zu finden, um die Partizipation
doch sicherzustellen. Vor allem die Kollegen aus den neuen Mitgliedsstaaten müssen besser eingebunden werden. Wir
sind nicht die EU! Wir sind Europa. Dazu gehören auch die Kandidatenländer. Eines meiner Ziele ist die wirkliche
Integration der mittel- und osteuropäischen Länder. Dabei geht unser Appell auch immer an die
Mitgliedsorganisationen, praktische und konkrete Lösungen zu finden. Grundsatz muß sein, daß Vereinbarungen nicht zu
Lasten anderer getroffen werden.
Frage: Wie viele Europäische Betriebsräte betreut der EMB momentan?
Scherrer: Derzeit betreut der EMB gemeinsam mit seinen Mitgliedsgewerkschaften 270 Europäische Betriebsräte. 310
könnten es realistischerweise sein, einige Verhandlungen laufen derzeit. Von den von Anfang an aufgebauten Gremien
sind mittlerweile 36 durch Unternehmensfusionen in einem anderen EBR aufgegangen. Dabei muß gesagt werden, daß jede
Neugründung um ein Vielfaches schwieriger ist als früher: die „harten Nüsse“ sind übriggeblieben.
Konzernleitungen verkomplizieren oder verschleppen das Verfahren, die Betriebsräte haben selbst leider manchmal kein
Interesse an einem EBR oder die lokalen und regionalen Gewerkschaften fürchten um ihren Einfluß.
Frage: Gibt es positive Beispiele?
Scherrer: Manchmal können wir dem Management mit dem EBR und den Betriebsräten auch auf die Sprünge helfen.
So gab es bei dem Landmaschinenhersteller Claas nach der Übernahme von Renault Agriculture interne Businessprobleme
aufgrund von Kulturunterschieden. Der Gesamtbetriebsrat organisierte den interkulturellen Austausch und Schulungen gab es
nicht nur für die Arbeitnehmervertreter, sondern auch für andere Gruppen im Unternehmen, Auszubildende zum
Beispiel.
Frage: Wie überzeugen und motivieren Sie für die Gründung bzw. Arbeit eines EBR?
Scherrer: Wir müssen die Leute da abholen, wo sie stehen. Die Voraussetzung ist doch vor allem das Vertrauen der
Arbeitnehmervertreter untereinander. Die daraus erwachsende Motivation müssen wir nutzen. Auch wenn nicht alle
Möglichkeiten von Anfang an ausgeschöpft werden, kann man die Entwicklungen geschickt vorantreiben.
Frage: Wie steht der EMB zum Verfassungsvertrag?
Scherrer: Das Nein zum Verfassungsvertrag ist ein eindeutiger Rückschlag für Europa. Mit dem Nizza-Vertrag
wird die EU nicht viel weiter kommen. Im Gegenteil. Die EU hat sich sehr verändert. Wir brauchen Regelungen, die
wenigstens ansatzweise der Tatsache gerecht werden, daß die EU jetzt nicht mehr 6 oder 15 Mitglieder hat, sondern 25.
Hierfür reichen die Institutionen von früher nicht mehr aus. Der EU-Verfassungsvertrag ist allemal besser als eine
konzertierte Unentschiedenheit. Natürlich hat er große Mängel, aber er ist eine erste Basis für darauf
aufbauende Verhandlungen. Eine bessere Alternative auf Grundlage eines Kompromisses aller 25 Mitgliedsstaaten hat bisher
noch keiner aufgezeigt.
Peter Scherrer war von 2005 bis 2011 Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB). Der
Westfale ist gelernter Schlosser sowie studierter Politologe, Historiker und Soziologe. Er hat bei der
Hans-Böckler-Stiftung das Referat Internationales geleitet und beim EGB in Brüssel gearbeitet sowie die
Zeitschrift „South East Europe Review for Labour and Social Affairs“ gegründet. Bei der IG Metall betreute er den
EBR und die Arbeitnehmervertreter im ThyssenKrupp-Konzern. Peter Scherrer bringt zudem einen reichen Schatz an
Kenntnissen über Europa und die neuen EU-Mitgliedsstaaten mit.
Das Interview führte Kathleen Kollewe am 30. Mai 2005.
Weitere Informationen:
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Dokumente zur EBR-Arbeit des EMB |