Interview mit Reiner Hoffmann, stellvertretender EGB-Generalsekretär
EGB = Europäischer Gewerkschaftsbund mit Sitz in Brüssel
Frage: Woran hakt es, daß die lange erwartete Revision der EBR-Richtlinie immer noch nicht vorliegt?
Hoffmann: Da gibt es drei wesentliche Gründe. Zum einen hat die Europäische Kommission das zweite Konsultationsverfahren
zur Revision der Richtlinie immer noch nicht eingeleitet. Dies läßt sich mit dem momentanen Widerstand innerhalb der
Kommission erklären, keine arbeits- und sozialgesetzgeberische Initiative zu entwickeln. Zum zweiten gibt es auch beim
europäischen Arbeitgeberdachverband BusinessEurope einen massiven Vorbehalt gegen die Revision der EBR-Richtlinie,
offiziell sehen sie hierfür keinen Bedarf. Und drittens gibt es in den meisten Mitgliedsstaaten keine große Euphorie, sich
dieses Thema auf die Fahnen zu schreiben. Im Gegenteil, mit Großbritannien haben wir mindestens einen Mitgliedsstaat, der
gegebenenfalls gewillt ist, eine Minderheitsblockade zu organisieren.
Frage: Wie erklärt sich, daß trotz vorhandener Richtlinie nur bei ca. einem Drittel der rund 2.300 EBR-fähigen
Unternehmen ein Euro-Betriebsrat existiert?
Hoffmann: Das stimmt, obwohl anzumerken ist, daß diese gut 800 Unternehmen aufgrund ihrer Größe gut zwei Drittel der
betroffenen Beschäftigten abdecken.
Frage: Was tut der EGB dafür, daß es anders wird?
Hoffmann: Wir sind gerade dabei, uns selbst einen Ãœberblick zu verschaffen, wie viele Verhandlungen im Moment laufen. Aber
natürlich gilt es, sich auch selbst an die Nase zu fassen. Immerhin müssen bei einer Gründung die Arbeitnehmer und
Gewerkschaften selbst aktiv werden. Für uns bedeutet das, unser Engagement deutlich zu intensivieren. Auf dem EGB-Kongreß
in Sevilla haben wir uns unter anderem darauf verständigt, eine Kampagne mit dem Ziel durchzuführen, die Anzahl der
EBR-Gremien in den nächsten vier Jahren deutlich zu erhöhen. Dabei arbeiten wir eng mit den Europäischen
Gewerkschaftsverbänden und den Gewerkschaften in den Mitgliedsstaaten zusammen.
Frage: Was sind die zentralen Forderungen bei der Ãœberarbeitung der Richtlinie?
Hoffmann: Unsere Forderungen fangen schon bei der Errichtung des EBR an. Die Verhandlungsdauer von drei Jahren ist viel zu
lang. Manche Unternehmen mißbrauchen diese Frist, um die rasche Gründung eines EBR zu verhindern. In drei Jahren können
sich die Unternehmensstrukturen durch Auf- und Verkäufe völlig verändern. Das führt dann immer wieder zu weiteren
Verzögerungen. Die Verhandlungsdauer sollte daher auf sechs bis maximal zwölf Monate reduziert werden.
Die andere zentrale Forderung ist die einer präzisen Definition, was unter Information und Konsultation zu verstehen ist.
Die Meßlatte für uns ist in diesem Fall die Definition, wie sie für die Europäische Aktiengesellschaft gilt. Vor allem muß
sichergestellt werden, daß Informationen und Konsultationen rechtzeitig erfolgen, also bevor im Unternehmen verbindliche
Entscheidungen getroffen werden. Nur so können EBR-Gremien versuchen, wirksam auf Unternehmensentscheidungen einzuwirken,
um mögliche negative Folgen für die Beschäftigten zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Ein weiterer wesentlicher
Bereich ist die Sitzungshäufigkeit und die Qualität der Arbeitsbedingungen des EBR. Arbeitnehmervertreter sollen zukünftig
zwei EBR-Sitzungen pro Jahr als Standard haben. Vor allem geht es darum, zu einzelnen Themen auch Ausschüsse zu bilden,
die dann eigenständige Sitzungen durchführen können, um Themen zwischen den EBR-Sitzungen zu vertiefen. Qualitativ sehen
wir die Notwendigkeit, daß die Arbeitgeber zukünftig externe Sachverständige finanzieren, denn in komplexeren
Umstrukturierungsfällen steigt zwangsläufig der Bedarf an Expertise.
Aber auch im Bereich der Qualifizierung muß noch mehr geschehen. Ein EBR-Mitglied kann seine Aufgaben effektiver
wahrnehmen, wenn es das Recht hat, an Schulungsveranstaltungen teilzunehmen. Insbesondere die fremdsprachlichen
Kompetenzen müssen gefördert werden. Ein Essential ist für uns auch die Anerkennung der Gewerkschaften, die eine wichtige
Unterstützungs- und Koordinierungsfunktion haben.
Last but not least halten wir den Schwellenwert von 1.000 Beschäftigten nicht mehr für zeitgemäß. Seit Erweiterung der EU
ist die Zahl der Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind und weniger als 1.000 Beschäftigte haben, enorm
gestiegen. Es kann nicht angehen, daß den Arbeitnehmern in solch kleineren Unternehmen das Recht auf Information und
Konsultation verwehrt wird. Nach der europäischen Grundrechtecharta ist dies ein Grundrecht für alle Arbeitnehmer.
Frage: Ab wann ist denn nun mit einer Revision der Richtlinie zu rechnen?
Hoffmann: Der Druck auf die Europäische Kommission ist erheblich gestiegen. Das Europäische Parlament hat sie schon
mehrfach aufgefordert, endlich ihre Revisionsvorschläge auf den Tisch zu legen. Auch der Europäische Wirtschafts- und
Sozialausschuß, dem ja zu einem Drittel Arbeitgebervertreter angehören, hat die Überprüfung der Richtlinie angemahnt. Und
in der alltäglichen Praxis erleben wir immer häufiger die Grenzen der EBR-Richtlinie, so daß auch der Druck aus den
Betrieben wächst. Letztendlich kommt es auch darauf an, ein deutliches Zeichen zu setzen, daß die Europäische Union nicht
nur für die Wirtschaft und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vorteilhaft ist. Sie muß deutliche Signale für die
Menschen setzen. Das bedeutet u. a., daß Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Für die Wahlen zum Europäischen Parlament im
Jahr 2009 wird das eine große Rolle spielen. Die Kommission wäre daher gut beraten, noch in diesem Jahr mit einem
konkreten Vorschlag aktiv zu werden, damit eine Revision im Rat der Arbeits- und Sozialminister noch vor den Wahlen
verabschiedet werden kann.
Reiner Hoffmann war von 2003 bis 2009 stellvertretender Generalsekretär des EGB. Zuvor war er Direktor des Europäischen
Gewerkschaftsinstituts (EGI) in Brüssel. Vor seiner Brüsseler Zeit arbeitete der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler
über zehn Jahre (bis 1994) in der Hans-Böckler-Stiftung. Er ist Mitglied der IG BCE.
Das Interview führte Bernhard Stelzl am 9. August 2007.